Leben auf dem Land

Leben auf dem Land im 19. Jahrhundert

von Natascha Bär

2.1.3 Ländliche Traditionen und Bräuche

Wie der Rhythmus des Alltags durch Arbeit und vorgegebene Abläufe bestimmt, so war das gesamte Leben von Bräuchen und Traditionen geprägt. Gerade im bäuerlichen Lebenszusammenhang spielten gewisse Rituale oder auch die symbolische Kenn­zeich­nung wie die der Kleidung in den traditionellen Lebensabschnitten wie Kindheit, Hoch­zeit und Tod, eine wichtige Rolle. Auch Arbeitsläufe unterlagen traditionellen Mustern und Vorgaben.

Die Flachsernte und -bereitung wie auch das Spinnen war von bestimmten Bräuchen gekennzeichnete Arbeit. Diese Tätigkeit diente zum Beispiel auch dazu sich dem anderen Geschlecht zu zeigen und nähern und die eigene „Macht“ zu demonstrieren. Ein Ausschnitt soll die festverankerten Rituale der Frauen bei der Flachsernte, wie Weber-Kellermann sie aufgreift, beschreiben:

Den Vorübergehenden wurden Schimpfnamen nachgerufen, und mancher reiche Bauer musste sich Dinge anhören, die ihm sonst niemand ins Gesicht zu sagen gewagt hätte (....) Die Mädchen, die den Flachs an einem Tag brachen, hießen ‚die Herren’; sie nahmen den vorübergehenden Männern die Mütze vom Kopf, die diese für ein Trinkgeld zurückkaufen mussten“ (vgl. Weber-Kellermann 1988:186).

Beim Spinnen setzte sich der Brauch des Paarungsspieles in anderer ritueller Form fort. Man machte sich zurecht und traf sich abends im Winter in der Stube, um zu spinnen. Hier wurde gearbeitet aber auch eine Art Freizeitvergnügen praktiziert. Sauermann und Schmitz schreiben in Alltag auf dem Land ausführlicher über die Spinnstube:

„Die leichtfertige Jugend drehte das Rad um und fuhr damit nach Art einer Schieb­karre (....) Im großen Kreise saß man in der Spinnstube, die Alten in der Nähe des Ofens. Wenn man miteinander warm geworden war, wurde auch allerlei Kurzweil getrieben, es wurde gesungen (...) Beim Spinnen selbst wurden auch Geschichten erzählt“ (Sauermann/Schmitz 1998:116).

Das Werben um die Braut und der Übergang in die Ehe war auch in Bräuchen wie „der Nachtfreierei, dem Fernsterln, dem Gasslgehen der alpinischen Landschaften oder dem Lettern (von Leiter ersteigen) wiederzufinden“ (Weber-Kellermann 1988:73). Die Eheschließung zwischen Kindern zweier Bauern folgte also den vorgegebenen und tradierten Vorstellung der Gemeinde. Dabei war die Verbindung innerhalb derselben sozialen Schicht eine unausgesprochene Regel „denn die Ehe war nach alter Tradition vor allem ein Vertragsabschluß zwischen zwei Familien“ (Weber-Kellermann 76).

Die Hochzeit folgte ebenso einem gewissen rituellen Ablauf, wie das Schmücken der Braut, die Übergabe der Aussteuer, das Werfen des Brautkranzes, aber auch das üppige Hochzeitsmahl und der Ablauf des Festes. Die Ehe hatte im Leben einen hohen Stellen­wert und war eine der wichtigsten Lebensstufen im Leben der Frau. Doch das konnte für jede Stufe gesagt werden und so gab es auch Rechtsbräuche, die nicht institutionalisiert waren

„der Täufling dreimal mit Wasser besprengt, das Brautpaar dreimal von der Kanzel aufgeboten, dem Jubelgreis dreimal Hoch gerufen, und dem Toten werden drei Hände voll Erde ins Grab geworfen, womit jedes Mal der Übergang in eine andere Lebenszone durch ein rechtliches Zeichen besiegelt wird“ (Weber-Kellermann, 1987:117).

Selbst die Arbeit unterlag gewissen Traditionen. Das Dreschen war zum Beispiel eine Tätigkeit die viel Zeit in Anspruch nahm und eine gewisse Geschicklichkeit erforderte. Für die landlosen Arbeiter, Tagelöhner und Kleinstbesitzer war diese Tätigkeit eine wichtige Einnahmequelle. Das Dreschen erforderte vor der Einführung der Dresch­maschine viele Hilfskräfte über den Winter und war deshalb ein wichtiges Ernteritual. Zum einen entstanden fest organisierte Gruppen, die den Winter über gemeinsam mit der Drescharbeit verbrachten und wie Weber-Kellermann ausführt,

„(...) sie entwickelten ihre eigenen Verhaltensweisen und Bräuche (....) Das ähnelte den Erntebräuchen, und wenn auch auf der Dreschtenne eine kompetente Arbeits­gruppe mit eigenem Gruppengeist beisammen stand, so war sie doch in das übliche dörfliche Arbeitsleben eingeordnet, in dem ein jeder, auch die Frauen, in der Jugend das Dreschen gelernt hatte“ (Weber-Kellermann 1987:363 f.).

Das Dreschen war ein wichtiges Ritual und förderte den Gemeinschaftsgeist und die Nachbarschaftlichkeit. Es war im ländlichen Alltag als Arbeit so wichtig wie als Ritual.

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